Wenn die Gesellschaft Kunst definieren müsste,
wäre sie eine kreativ ausgedrückte Botschaft, die allerdings so versteckt und kompliziert zu verstehen ist, dass nur studierte Künstler die Aussage des Kunstwerkes deuten können. Susanne Wilke jedoch will das Gegenteil beweisen. Sie ist Künstlerin, Grafikerin und Illustratorin. Susanne versucht mit ihren Serien von Bildern, Menschen anzuregen selbst zu denken. Sie vermittelt ihre Botschaften leicht und einfach. Dies erreicht sie, indem sie Motive wählt, die jeden persönlich ansprechen, da sich jeder in die Situation hineinversetzen kann. Ihre Handschrift ist zart und dennoch wild. Manchmal darf es aber auch einfach nur schön zum Anschauen sein, denn auch das ist Kunst.
Susanne Wilke ist in Rostock zu Zeiten der DDR geboren und aufgewachsen. Dort hat sie ihr Abitur als Baufacharbeiter vollzogen. Im letzten Jahr des Abiturs hat sie sich für ein Architekturstudium beworben. Susanne wurde für das Studium zugelassen, doch nur unter der Bedingung, dass sie in die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschland) eintritt. Da dies nie ihr Plan war, flüchtete sie über Polen nach Flensburg. Von Flensburg ging sie dann nach Kiel, um dort an der Muthesius Schule Architektur zu studieren. Das Studium war spannend und lehrreich für Susanne. Während sie ihre Diplomarbeit mit dem Thema “Architektur und Kunst – Kunst und Architektur“ schrieb, merkten sowohl Susanne, als auch ihr Professor, dass ihre wahre Leidenschaft in der Kunst liegt. Susanne hat sich somit direkt für ein Kunststudium beworben und wurde sogleich im Hauptstudium angenommen, ohne dass ein Grundstudium absolviert werden musste. Nach dem Diplom für Architektur ging sie nahtlos über in eine experimentelle Kunstklasse, da sie sich spontan nicht auf ein Genre der Kunst spezialisieren wollte. In ihrem Studiengang war sie sehr frei und so konnte sie vieles ausprobieren. Schon während ihres Architekturstudiums arbeitete Susanne oft mit Künstlern, Grafiker und Designern zusammen. Dort lernte Susanne die Brüder Landschütz kennen und sie begannen schon 2004 gemeinsame Projekte auf die Beine zu stellen. Michael, Stefan und Susanne merkten schon bald, dass die Zusammenarbeit sehr gut funktionierte und gründeten 2007 nach dem Abschluss des Studiums das Designbüro “SALZIG“. Um mehr Möglichkeiten ausleben zu können, entschieden sie sich, in eine grössere Stadt zu ziehen und Berlin gewann mit einem grossen Vorsprung das Rennen. Ihrer Meinung nach hatte Berlin das nötige Netz an künstlerischen, kreativen und kulturellen Kontakten. So packten sie ihre sieben Sachen und die Kinder und zogen 2009 in die Hauptstadt, wo die Urban Art Gallery bis heute noch ihren Sitz im kreativen Viertel Friedrichshain hat. Susanne war damals schon zweifache Mutter, eine Tochter und ein Sohn. Der Vater des Sohnes ist Michael. Die Arbeit in der Gallerie machte Susanne unglaublich viel Spass, wo sie als Art Director arbeitete. Die drei Künstler konnten richtig durchstarten. Allerdings distanzierte sich Susanne nach einigen Jahren immer mehr von „Salzig“, da sie ihre eigenen Ziele verfolgen wollte. Ihre Kunstwerke werden allerdings immer noch dort ausgestellt und werden zum Verkauf angeboten.
Seit der Trennung von „Salzig“ arbeitet Susanne als freischaffende Künstlerin, Grafikerin und Illustratorin. Nebenbei kooperiert sie mit Jugendhäusern und betreut dort Kunstprojekte mit Kindern und Jugendlichen. Sie will den Jugendlichen vermitteln, dass es in der Kunst kein richtig oder falsch gibt. Es liegt ihr am Herzen, ihnen beizubringen, dass man nicht in Schubladen denken soll. Ihr Fokus liegt jedoch auf ihrer eigenen Kunst.
Das erste Mal als ich in Berührung mit Susannes Kunst kam, war in der Galerie „Salzig“. Ganz per Zufall bin ich auf einer Erkundungstour durch Friedrichshain auf den Laden gestossen und als Erstes sind mir die Kuss-Sticker am Tresen aufgefallen. Damals wusste ich noch nicht wer Susanne war, und dass sie die Künstlerin hinter den Stickern ist. Ich kaufte mir einen und klebte ihn in meinen Tagesplaner. Immer wieder besuchte ich die Art Gallery und entdeckte die verschiedenen Künstler, die dort ihre Kunst ausstellen. Die kleinen Sticker mit den Kussmündern faszinierten mich so sehr, dass ich nicht mehr genug davon bekommen konnte. Als ich erfuhr, dass sie 105 Küsse gezeichnet hat, war ich hin und weg und kaufte mir als erste Person die ganze Serie der Sticker. Dadurch lernte ich Susanne persönlich kennen. Bei den Küssen handelte es sich zuerst nur um die Münder von Freunden und Bekannten, doch die Idee verbreitete sich wie ein Lauffeuer und plötzlich kriegte sie unzählige Selfies mit Kussmündern. Die Serie kommt deswegen so gut, weil in der heutigen Zeit von Selfies, Facebook, Snapchat und Smileys jeder weiss, wie man einen Kuss verschickt. So versteht man die Botschaft der Küsse auf den ersten Blick. Sie sagte mir, sie wolle mit ihrer Kunst mit leicht zu verstehenden, aber starken Messages an die Menschen appellieren. „Anstatt einem Arschtritt, sollte man lieber einfach einmal einen Kuss draufgeben.“
Susanne arbeitet gerne in Serien. Die Serie „Undress“ zeigt Frauenkörper, die sich gerade ausziehen. Die Serie ist in Susannes Handschrift, zart aber trotzdem wild angefertigt worden. In ihrer Vorgehensweise skizziert sie die Zeichnung erst mit Bleistift. Die Linien werden danach mit Fineliner nachgezogen. Die Akzente setzt sie mit dem Pinsel und benutzt dafür Aquarell. Die Farbe macht manchmal was sie will und kann nur wenig gelenkt werden. Intuitiv macht sie aber das Richtige und somit wird das Bild perfekt. Susanne zeigt auch bei dieser Serie nur ein Detail, sodass der Betrachter aufgefordert wird, sich den Rest der Situation selbst auszudenken. So bleibt ihm überlassen, wie er den Titel „Undress“ deuten soll: Befindet die Person sich in einer schönen Situation, vielleicht mit ihrem Partner, oder ist es für sie eine unangenehme Situation, bei der sie aufgefordert wird, sich auszuziehen? Susanne lässt diese Fragen offen und fordert den Betrachter heraus, die Situation weiterzudenken. Es sind persönliche Momente, die sie zeichnet. Das mag sie, denn so kann sie den Zuschauer direkt ansprechen, da sich jeder damit identifizieren kann. Deswegen zeigt sie auch sehr persönliche Seiten von sich selbst, um die Bilder so authentisch wie möglich zu machen.
Vor Kurzem erlebte sie ein schockierendes Erlebnis, als sie das Zimmer ihres Sohnes bei AirBnB angeboten hatte, als dieser mit seinem Vater in den Ferien war. Zu Besuch war ein Ehepaar aus Malaysia. Die Frau hat sie nie ohne Kopftuch gesehen, obwohl nur Susanne und ihre Tochter Zuhause waren. Der Ehemann liess seine Frau nie sprechen und kommandierte sie herum, obwohl beide denselben Hochschulabschluss hatten. Dieses Erlebnis machte Susanne sehr traurig. Sie will Randgruppen wie diese unterdückte Frau eine Stimme geben. Dies macht sie durch ihre Kunst oder ihre Projekte mit den betroffenen Menschen. Kunst ist da die gemeinsame Sprache.
Neben ihrer Kunst arbeitet Susanne mit Jugendhäusern zusammen, wo sie genau dies tun kann. In diesen Projekten lernt sie den Kindern, dass man die künstlerische Freiheit auch auf sein ganzes Leben anwenden kann, nicht nur auf die Kunst. „Es ist immer eine Interpretationssache. Es gibt nie ein richtig oder falsch. Wie man etwas macht ist, immer die eigene Entscheidung.“ In den Jugendhäusern arbeitete sie beispielsweise mit ägyptischen Mädchen und syrischen Kindern zusammen. Obwohl sie nicht die gleiche Sprache sprechen, konnte sie den Kindern mit den Projekten ein Erlebnis auf ihren Weg mitgeben, welches sie nie vergessen werden. Susanne ist bewusst wie sehr ihre Arbeit mit den Jugendhäusern den Kindern und Jugendlichen hilft und wie sehr sie sie positiv beeinflussen kann. Gerne würde sie auch öfter solche Projekte machen.
Nach Susannes Meinung sollte Zugang zu Kunst jeglicher Art kostenlos sein, wie beispielsweise in Museen. Auch Susanne stellt ihre Werke aus und zwar im benachbarten „Centre Manouche“, was Französisch für „Zentrum Mensch“ ist. Das „Centre Manouche“ ist ein Ort der Begegnung von Musik, Kunst und Kultur. Jeden Freitag ist das Zentrum geöffnet und ihr Freund und Mitgründer spielt Musik, während Susanne zeichnet. Leute kommen und gehen, es wird geredet, Ideen werden ausgetauscht oder man ist einfach nur zusammen. Vor allem grössere Arbeiten kann sie dort realisieren, die dort auch ausgestellt werden. Sie arbeitet immer noch an der Entwicklung des Zentrums und hat immer mehr Ideen von Dingen, die noch angeboten werden können.
Susanne hat mich ins „Centre Manouche“ zu einem Konzert eingeladen. Die Stimmung war sehr familiär und ich hatte das Gefühl, dass die Musik nur für mich gespielt wurde. Das war ein wunderbares Erlebnis. Susannes Bilder an den Wänden rund um die Bühne und den Zuschauerraum intensivieren diese Stimmung und machen den Raum lebendig und fröhlich.
Susanne wünscht sich für ihre Zukunft, dass ihre Ideen nie ausgehen werden. Dies kann man aber auch gar nicht bezweifeln, wenn man ihrer Leidenschaft bei der Arbeit zuschaut. „Die Inspiration ist immer sehr ungeplant.“, sagt Susanne. „Sie kommt unerwartet und hält sich dann in meinem Kopf fest. Wenn ich sie nicht loswerde, muss ich sie realisieren.“ Was dabei herauskommt weiss sie nicht, doch an ihrer Kunst zweifelt sie nie. Sie ist sich ihres Könnens und ihrer Handfertigkeit bewusst und weiss, dass wenn ihre Kunst von Herzen kommt, sie immer richtig ist. Ob sie dies rückblickend immer noch so sehen kann, spielt keine Rolle. Ihr Lieblingsprojekt ist immer das, an dem sie gerade arbeitet. Ihr Fokus liegt darauf und bekommt ihre ganze Aufmerksamkeit.
Die Arbeit von Susanne ist sehr vielseitig, kreativ und macht Susanne grossen Spass. Sich in ihrer Kunst auszudrücken und ihre Ideen aus ihrer Hand auf Papier zu bringen befreit Susanne. So verarbeitet sie Themen, die sie beschäftigen, ob schöne, oder weniger schöne. „Choose a Job you love and you never have to work again!“, ist Suses Motto. Dass Suse ihre Arbeit liebt ist eindeutig. Eigentlich hat es Susanne mit der Kunst nur ausprobiert, aber es hat geklappt.
Funktion
2nd Kamera, Produktion, Regie, Ton, Schnitt, Text
Funktion
Kuss drauf porträtiert die Berliner Künstlerin Susanne Wilke. Das Projekt entstand im Rahmen eines Moduls während meines Studiums an der DEKRA Hochschule für Medien.